Puppen von Lotte Pritzel. Von Wilhelm Michel 1911.

Puppen für die Vitrine von Lotte Pritzel. Von Wilhelm Michel.

Puppen für die Vitrine

Puppen von Lotte Pritzel.

Von Wilhelm Michel (erschienen in: Deutsche Kunst und Dekoration, 1911)

Die Puppe ist eine Bürgerin der neuen Zeit. Einer Zeit, die das Künstliche innig liebte, besonders in ihren Anfängen, weil sie des Natürlichen, des Lebens, ein wenig müde war. Ja, es ist wirklich wahr, daß von so einer winzigen Erscheinung wie es die neue Liebe zum Puppenhaften ist, Wege führen zur Gesamtpsychologie unserer Epoche. Wie kommt die moderne Abneigung, oder sagen wir: das moderne Mißtrauen gegen das Leben zustande ? Man müßte da von der Philosophie des vorigen Jahrhunderts reden, von den Maschinen, von der Entwertung der Ideale, von der Kunst des Naturalismus, vom Ästhetentum. All das soll hier nicht geschehen, in der Voraussetzung, daß jeder an sich schon die modernen Zweifel am Leben, am Regelrechten, Gesetzmäßigen und Natürlichen erfahren hat. In der Flucht vor dem Leben, dessen laute, pathetische Art die feinen, jungen Geister des fin du siecle beleidigte, wurden ganze Scheinwelten geschaffen, Welten voller Prunk und Schönheit, ohne den unreinlichen „Erdenrest”, der dem Wirklichen immer anhaftet. Die moderne Skepsis mokierte sich über die lärmenden Gebärden des Lebens, über seine Schweißgerüche und seine Formlosigkeiten. Und mit einem ironischen Lächeln ging sie zum Künstlichen über, das den schönen Schein lebendiger Form mit dem Adel des Nichtseins verbindet.

Sieht sich die Puppe nicht ganz wie eine liebenswürdige Symbolisierung des modernen Ästhetizismus an? Beide verneinen den Inhalt, das Leben, zugunsten der Form. Beide sind letzten Grundes von satanischem Geschlecht und Wesen. Ist es ein Zufall, daß hier bei Lotte Pritzels Puppen immer dieselbe, an Beardsley erinnernde Physiognomie wiederkehrt? Und nicht nur dies. Auch die Kostümierung erweckt auf Schritt und Tritt Erinnerungen an die bizarre, zärtlich verruchte Linie des großen Dandy und Künstlers. Der Einfall aber, diese übrigens nicht nur von Beardsley entwickelte und gepflegte Linie prunkvoller Teufelei und traumhafter Lebensscheu auf das spielerische Wesen der Puppe zu übertragen, dieser Einfall ist zweifellos einer der liebenswürdigsten und feinsten Gedanken, welche die letzten Jahre gezeitigt haben.

Lotte Pritzels Puppen sind Farbenarrangements und Liniendemonstrationen voll eines delikaten erotischen Sinnes. Ihr Duft ist Liebe und Zärtlichkeit, ihre Gestalt ist Grazie, und holde, sanfte Schwärmerei liegt als charmanter Nebel über ihrer ganzen Erscheinung. Sie sind ganz in süperbe, diffuse Sinnlichkeit getaucht, wie die Porzellanplastik des Rokoko, und diese Eigenschaft wird gesteigert durch die zart melancholische Leichtigkeit, ja Nichtigkeit ihres Wesens. Diese Puppen sind leicht und hold wie Schmetterlinge, wie bunte Seifenblasen; sie sind frei von aller Schwere des Lebens wie des Kunstwerkes und haben ganz jenes zarte, traurige bezaubernde Lächeln, mit denen uns nichtseiende Dinge, wie Träume, Ahnungen und Erinnerungen beglücken. Unwirkliche Hauche sind sie, Gebilde von königlicher Freiheit und Keuschheit der Erscheinung. Man fühlt, wie leicht und unmittelbar die Phantasie der Hand sie hervorgebracht, hervorgespielt hat.
Nicht der Geist und das Ausdrucksstreben eines Künstlers haben diese feinen, bunten Wesen geschaffen, sondern der Geist der Seide, mit der sie bekleidet sind, der Geist der duftigen Spitzen und des Wachses, das so rührend bildsam ist, daß die Wärme der Hand genügt, um seine Sprödigkeit zu besiegen. Lotte Pritzels Puppen wollen nichts sagen und nichts bedeuten.
Sie sind „nichtssagend” und „unbedeutend” wie Blumen, die nur um ihrer selbst willen leben, verliebt in ihre eigene Schönheit und gleichsam heimlich in sich hineinlächelnd. Sie sind unter den Kunstwerken dasselbe was unter den Menschen die Kinder sind. Kein Schicksal drückt sie, keine Geistigkeit beschwert und erhebt sie. Jede ist ein Engel inmitten ihrer Wölkchen aus Seide und Spitzen, gerade nur mit soviel Körperlichkeit beschwert als not tut, um in das Farben- und Linienarrangement ganz gedämpft und von Ferne die bedeutende Vorstellung menschlicher Leiblichkeit hineinklingen zu lassen. Ich möchte an diesem Punkte die Feder an meinen Kollegen Peter Altenberg weitergeben, damit er uns den Reiz dieser wächsernen Händchen, Füßchen und Köpfchen mit der grenzenlosen Hingabefähigkeit seines dichterischen Wesens und der Delikatesse seiner feinen, treuen und kränklichen Hand ausdeute.
„Ach sie haben eine Seele aus weißer Watte, die Holden!” würde er vielleicht schreiben, „sie sind die reinsten weiblichen Wesen, von denen mir je zu träumen erlaubt wurde. Ihre Händchen sind nur fürs Blumenpflücken gemacht, und barfuß gehen sie, damit die Linien ihrer feinen Fesseln singen und die Menschen erfreuen können. Von solchen Händen, kühl, zart und vibrierend, haben wir als Knaben geträumt, um dann zu erfahren, daß es sie im Leben nicht gibt, und Du, Lizzie B., solltest Dir sagen lassen, daß Dein süßes Gesichtchen niemals, niemals soviel Geist, Klugheit, Anmut und Scheue zeigte wie die Füße dieses braunen Wachsmädchens, dessen Brüste die rosigen Spitzen zeigen.”

Ich selbst hätte zu bemeldeten Gliedmaßen zu bemerken, daß sie delikat und famos gemacht sind, alle von gleichmäßigem Ausdruck, alle von derselben nervösen, altadeligen Art. Mondäne, wohlerzogene und kühne Mädchen blicken diese Geschöpfchen alle etwas hochfahrend und unsagbar scheu von oben herab, haben alle den großen Mund, den die Erinnerungen verbotener Küsse schmücken, und dieselben verträumten Mongolenaugen, aus denen die Dichter fremdländische Entzückungen schimmern sehen. Nur das stumpfe Naschen legitimiert sie als Europäerinnen, als Nachkommen der liebenswürdigen Damen von Watteaus und Bouchers Gnaden, die die zahmen Lämmer und die ebenso zahmen Schäfer auf köstliche imaginäre Weiden führten.
Was soll ich noch mehr von ihnen erzählen? Daß man sie stellen, legen und setzen kann, wie es gefällt? Daß Lotte Pritzel die erste war, die in größerem Umfange mit Wachs, Seide, Spitzen und Perrücken zu dichten begann? Das möge denn noch hier verzeichnet sein. W. M.

EDLES MATERIAL lechzt nach der kundigen Hand, die seine heimlichsten Reize entfalte, seine Tugenden zum Erstrahlen bringe. In den nobelen Hölzern, Metallen, Glasflüssen, dem Leder oder dem Stein schlummern Schönheitswerte, die man erahnt, selbst wenn der nachlässige Bearbeiter keine Mühe aufgewandt hat, sie den Sinnen offenbar zu machen.
Doch ist es nicht Verbrechen an der von der Natur reich bedachten Materie, wenn ihre innerliche Schöne brach liegen bleibt wie ein ungepflügter Acker? Von dieser Schuld können wir uns nicht ganz frei sprechen. Wohl haben wir es dahin gebracht, daß mit Freude und Eifer kostbares Holz, Gold, Silber, Marmor, strahlendes Leder und reine Stoffe verwendet werden. Aber wer wollte leugnen, daß diese Dinge zumeist primitiv und unveredelt bleiben. Und wer möchte bestreiten, daß dieser Verzicht auf eine liebevolle Durchgestaltung beinahe als Materialvergeudung erscheint. Man betrachte doch eine alte Gemme, eine Schnitzerei aus früherer Zeit oder eine japanische Bronze. Durch Fleiß und Können ist da der Urstoff aufgehöht zu unerhörter Kostbarkeit. Das Gesetz der Natur ist erfüllt, und der Mensch betrachtet entzückt das so entstandene Werk. P. Westheim.

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